Unlängst habe ich die Originalnotizen zu unserer ersten Skandinavienreise im Jahr 1976 gefunden. Ich habe sie in den PC getippt und beschlossen, dazu einen forentauglichen Reisebericht zu verfassen.
Die Bilder stammen von Dias, die unser Vater auf dieser Reise gemacht hat. Er war sparsam und so wurde nur ein Film mit 36 Aufnahmen belichtet. Diese Bilder sind nicht immer aussagekräftig. So hat Papa z.B. in Städten kaum fotografiert, weil nach seiner Aussage Städte immer gleich aussehen. Die Dias wurden dann später gescannt.
Und nun geht es los!
Ach, wie waren wir doch unbedarft, als wir unsere erste „große“ Reise antraten! Zuvor waren wir immer irgendwohin in den Süden gefahren, an die italienische oder (damals) jugoslawische Adria, wo wir zwei Wochen in einer Ferienwohnung, später dann in einfachen Hotels verbracht hatten.
Eines Tages im Frühjahr 1976 hatte der Familienrat den Plan gefasst, dass unser Familienurlaub in den Norden gehen sollte. Wir Kinder (Uli, 20 Jahre, Bernhard, 16 Jahre, und Roland 11 Jahre) waren in die Entscheidung mit eingebunden und Feuer und Flamme für den Plan.
Doch wie sollte die Reise aussehen? Papa hatte zwar einen gut bezahlten Job, war aber Alleinverdiener, also sollte die Reise möglichst kostengünstig sein. Es wurde beschlossen, dass wir von unserer Tante ein großes Steilwandzelt ausleihen sollten. Es war aus schwerem Baumwollstoff genäht und sollte für uns fünf Platz bieten. Fünf schmale Luftmatratzen wurden angeschafft, die so mehr schlecht als recht im „Schlafzimmer“ des Zelts Platz hatten. Dazu wurden fünf Schlafsäcke gekauft, die – wie sich unterwegs herausstellen sollte – viel zu dünn waren. Die Küchenutensilien (fünf Plastikteller, Besteck, fünf Plastikbecher, ein Campingset aus Aluminium mit Töpfen, ein Gaskocher) fanden in einem alten Hartpappekoffer Platz, ebenso Löskaffee, Instantkakao, Zucker, ein paar Packerlsuppen. Dieser Koffer diente auch gleichzeitig als Tisch, wenn gekocht wurde. Zusätzlich fanden in einer Kühltasche „sensible“ Produkte, wie z.B. Milch, Butter oder Wurst, Platz. Eine Waschschüssel für das Geschirr und ein Kanister für Trinkwasser mussten ebenso mitgenommen werden. Selbstverständlich musste auch wenigstens ein Minimum an Kleidung für fünf Personen ins Gepäck.
Tisch und Stühle waren nicht geplant, dafür war kein Platz.
Aber wohin mit dem ganzen Kram? Wir hatten zwar mit dem VW K70 ein relativ großes Auto, doch mit Zelt, Zeltstangen, Schlafsäcken usw. war auch der an sich große Kofferraum viel zu klein. Papa ließ daher einen Sack aus Zeltstoff anfertigen, der am Dachgepäcksträger befestigt wurde und leichtere Sachen, wie z.B. Schlafsäcke und Luftmatratzen aufnehmen sollte. Zeltstoff sollte nach Papas Ansicht wasserdicht sein. Sollte – denn bei Regen wurden die Schlafsäcke auch feucht, was wir etwas zu spät bemerkten…
Schließlich ging es an die eigentliche Reisevorbereitung. „Kostengünstig“ war auch hier die Devise. Mama holte aus der Stadtbücherei bereits völlig veraltete und schlechte Reiseführer und las sich in die Materie ein. Wir drei Kinder waren ziemlich mit Studium und Schule beschäftigt und hatten für Vorbereitungen nicht viel Zeit. Der ÖAMTC bot auch Reiseunterlagen an, die aber (im Nachhinein betrachtet) äußerst mickrig waren. „Das muss reichen!“ war das Motto. Und dann wurde beim ÖAMTC eine Fährüberfahrt von Bergen nach Cuxhaven gebucht, um die Heimfahrt zeitlich zu straffen.
Zum Thema Übernachtung gibt es noch zu bemerken, dass wir erfahren hatten, dass es in Schweden und Norwegen Miethütten in allen Preislagen gäbe. Der Gedanke daran gefiel uns. Wir mussten so nicht bei jedem Wetter das Zelt aufbauen. Und außerdem konnten wir ja auch nach Privatzimmern Ausschau halten.
Die Zeit des Urlaubs war da und Papas Aufgabe war es, das Auto einzuräumen. „Ihr seid ja deppert!“ und „Seid’s ihr narrisch?“ waren dabei seine liebsten Kommentare, dazu noch das „Wie soll ich das alles unterbringen?“ Aus seiner Position des „Einräumers“ hätten wir gut und gern die Zahnbürsten und die Zweit- und Drittunterhosen zu Hause lassen können. Doch irgendwie hatte dann doch alles Platz.
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Am 18. Juli, einem Sonntag, ging es nach dem Mittagessen los. Wir hatten vor irgendwo im Salzkammergut zu übernachten, um am nächsten Tag dann flott beim Grenzübergang Walserberg bei Salzburg zu sein. Was die Ansprüche an das Zimmer oder die Zimmer (wir waren ja fünf große Leute) betrifft, waren wir ja nicht sehr wählerisch. Das Zimmer sollte sauber und ruhig gelegen sein und kostengünstig obendrein. Papa wollte nicht auf einem Bauernhof mit Misthaufen übernachten, weil „der Misthaufen stinkt und obendrein gibt es viele Fliegen“. Mama hatte panische Angst vor Hunden, also durfte es keinen Hund geben. Wenn es nur ein großes Zimmer mit z.B. drei Betten geben sollte, so war das auch kein Problem, sofern der Vermieter zustimmte, dass zwei Luftmatratzen im Zimmer aufgelegt werden konnten.
Doch es war Mitte Juli und damit Hochsaison. Wir begannen in Bad Ischl mit der Zimmersuche, gut 40 km weiter in Mondsee waren wir noch immer nicht fündig geworden. Wir suchten in Mondsee und waren schon drauf und dran auf den Campingplatz zu gehen, als ein Auto neben uns stehen blieb und der Fahrer fragte, ob wir etwas suchten. Ja, wir suchen ein Zimmer für eine Nacht. So etwas hatte er und flugs waren wir bei seinem schönen Haus und bezogen das Zimmer. Der Dumme hat das Glück! Und kaum hatten wir alles für die Nacht im Haus, schon begann es wie aus Kannen zu schütten, weil ein Gewitter aufgezogen war. Beim Zeltaufbau hätten wir da schon recht dumm (und nass) ausgesehen.
Am nächsten Morgen ging es dann über den Autobahngrenzübergang Walserberg mit einiger Wartezeit nach Bayern. (Die Autobahn über Wels und Passau nach Nürnberg existierte damals nur in Teilstücken.) Und dann mussten wir über München, Nürnberg und Würzburg in den Norden fahren. Interessant ist, dass ich die Gegend um Würzburg damals als entsetzlich fad und ausgedörrt empfand, und Mama behauptete, Deutschland sei „schmucklos“. Von der Autobahn aus darf man ein Land nicht beurteilen, aber das wussten wir damals noch nicht, auch darin waren wir auch noch sehr unbedarft!
In Dransfeld, ein wenig westlich von Göttingen, fanden wir dann auf einem Campingplatz Unterschlupf und bauten erstmals das Zelt auf. Eine Stunde brauchten wir, um das Zelt aufzustellen und wohnbereit zu machen, wobei alle fünf mithalfen. Papa und Bernhard bauten das Zelt auf, Roland, Mama und ich durften die Luftmatratzen mit unseren Lungen aufblasen (Blasebalg hatten wir keinen) und die restlichen Dinge tun.
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Was zu essen brauchten wir auch. Papa wollte immer einmal pro Tag etwas Warmes, das konnte eine einfache Suppe sein. Er glaubte, dass das seinem Magen guttäte. Wir erstanden Pommes frites auf dem Campingplatz, das war auch warm. Und nach dem Zeltaufbau genossen wir unser einfaches Mahl, waren rundum zufrieden und glücklich und wunderten uns, wie spät doch im Sommer in Norddeutschland die Sonne untergeht.
Am nächsten Tag ging es weiter nach Norden, die Landschaft wurde „schrecklich flach“. Südlich von Hamburg aßen wir bei einer Autobahnraststätte, es waren dort Frikadellen angeboten. Erstmals erfuhren wir, dass unsere Fleischlaberln/Fleischlaibchen in Deutschland Frikadellen heißen. Aha, Deutsch ist nicht gleich Deutsch? Wir waren doch recht unbedarft.
Bald erreichten wir Hamburg, die große Köhlbrandbrücke und die Hafenanlagen, die man von der Autobahn aus sieht, ließen uns groß staunen, dann ging es noch dazu unter der Elbe durch – so etwas hatten wir noch nie! Neudeutsch hieße das: Wir waren „geflasht.“ Auch der Nordostseekanal war uns dann einen kurzen Stopp wert. Die Autobahn bis zur dänischen Grenze war damals noch nicht fertig, die Grenze musste auf der Bundesstraße überquert werden.
Wow! Jetzt waren wir in Dänemark! Erstmals in diesem für uns neuen Land, die andere Sprache, das hat was! Dann noch dazu dieses blitzsaubere WC an der Straße mit Warmwasser und Papierhandtüchern! So etwas kannten wir von Mittel- und Südeuropa nicht. Die Preise beim ersten Einkauf von Lebensmitteln holten uns dann bald auf den Boden der Wirklichkeit zurück.
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Über Vejle ging es nach Billund. Der Campingplatz gefiel uns gar nicht: Er lag damals zwischen einer Hauptstraße und dem zweitgrößten Flugplatz Dänemarks, auf dem laufend große Flugzeuge starteten und landeten. Die Touristeninformation vermittelte uns ein Zimmer außerhalb auf einem sehr sauberen Bauernhof.
Ich erinnere mich noch, wie Mama lachend vom WC zurückkam und erzählte, dass es dort einen „Parkeringspladsen for din cigaren“, einen „Parkplatz für deine Zigarre“, also einen Aschenbecher, in der WC-Kabine gab. Das wäre heute wohl undenkbar.
Am nächsten Morgen wurden wir mit einem sehr umfangreichen Frühstück überrascht, das für uns so außergewöhnlich war, dass ich notierte, was es gab: viel Kaffee, Milch, Butter, Zucker, Marmeladen, drei Wurstsorten, Pastete, Gurke. „Großes“ Frühstück war damals bei uns in Österreich völlig unüblich, schon gar in Privatzimmern.
Nach dem Frühstück ging es ins Legoland. Roland hatte als Kind viel und gern mit Legosteinen gespielt (damals gab es nur die ganz einfachen Steine) und deshalb musste das Legoland sein. Dort war nach unserem damaligen Empfinden ein großer Rummel, für uns war es wie ein riesengroßer Jahrmarkt, obwohl uns die einzelnen Bauwerke aus Legosteinen durchaus gefielen. Was, wenn es damals schon so zugegangen wäre, wie heute? Zu Mittag hatten wir alles gesehen (heute würde man wohl einen Tag brauchen) und fuhren ab Richtung Kopenhagen.
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Die „große“ Brücke über den Kleinen Belt war schon besonders, heute ist sie klein im Vergleich zur Brücke über den Großen Belt. Über den Großen Belt musste man damals mit einer Fähre fahren, die für uns „sehr groß“ war. Welche Fähren hatten wir denn schon bis dahin erlebt? Das waren eine winzige Fähre über den Tagliamento zwischen Bibione und Lignano in Italien und eine kleine Fähre auf die Insel Krk im heutigen Kroatien. Wir konnten also noch staunen, als wir die Beltfähre gesehen hatten! Aber wie ginge das heute noch mit einer Fähre bei dem irren Verkehr, der auf der Beltbrücke herrscht? Nicht vorstellbar!
Nachdem wir in Roskilde westlich von Kopenhagen kein Zimmer gefunden hatten, bauten wir unser Zelt auf dem Campingplatz auf. Das Gelände war dort sehr schief, aber Papa erklärte, das wäre gut, weil dann auch Regenwasser unter dem Zelt abrinnen könne. Es war aber so schief, dass man sich auf der Luftmatratze am liebsten angebunden hätte.
Der nächste Tag wurde großteils in Kopenhagen verbracht. Als erstes besichtigten wir die große Astronomische Uhr im Rathaus, die uns sehr gefiel. Dann strolchten wir wohl recht ziel- und planlos wegen der schlechten Vorbereitung und der fehlenden Reiseführer in der Stadt herum, die uns (übrigens gleich wie Wien!) gar nicht gefiel. Ich verwendete das Wort „grauslich“ für die Stadt in meinen Notizen, ebenso „grauslich“ war das Schloss Amalienborg für uns. Wahrscheinlich empfanden wir die Bauwerke und die Stadt mit den vielen grauen Steinen bedrückend – so meine heutige Interpretation. Wir machten eine Hafenrundfahrt (das wollte Papa immer in Hafenstädten machen), da begeisterten ein paar Schiffe der Marine unsere Männer.
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Wir hakten Kopenhagen gedanklich ab und fuhren wieder zurück nach Roskilde. (Viele Jahre später sollten Roland und ich einen ganz anderen Eindruck von Kopenhagen bekommen.) In Roskilde besuchten wir noch das interessante Museum mit den Wikingerschiffen.
Das Abenteuer ging weiter! Am nächsten Tag fuhren wir mit einer Fähre von Dragør bei Kopenhagen nach Limhamn in Schweden. (Heute geht etwa auf dieser Strecke die Öresundbrücke.) Bei der Ankunft wurden wir vom Zoll befragt, ob wir Unerlaubtes mithätten. Nein, für eine Weinflasche oder Bier hätten wir keinen Platz mehr gehabt!
Schweden! Wieder war alles so neu, so anders! Die Ortsnamen, die Reklametafeln, alles versuchen wir zu lesen. Und dann wurde es ganz ruhig im Auto und fünf Augenpaare schauten sich an der Landschaft satt. Dann murmelte plötzlich unser Bruder Bernhard: „Weh.“ Mama war als sorgende Mutter sofort im Alarmzustand: „Was tut dir weh?“ „Nichts, da stand nur die Ortstafel von Vä.“ Und da mussten wir alle lachen, das Vä gibt es wirklich.
Es tat also nichts weh, wir genossen die Wald- und Seenlandschaft, kauften bei einem Konsum viel und gut ein, machten Mittagsrast an einem der schönen Parkplätze im Wald. Gegen Abend kamen wir bei Karlshamn an und konnten erstmals eine Hütte auf einem Campingplatz mieten. Wir waren begeistert über die Qualität der Sanitäranlagen und die Sauberkeit der Hütte. Wir machten einen kurzen Spaziergang zur Ostsee, die wir erstmals auch mit unseren Fingern „fühlen“ konnten.
Am nächsten Tag genossen wir auf dem Weg weiter entlang der Küste wiederum den schwedischen Wald und die wunderbaren Rastplätze im Wald. Nachdem es bereits zu Mittag zu regnen begonnen hatte, beschlossen wir ein Privatzimmer zu suchen. Die Touristeninformation in Söderköping konnte uns auch ein Zimmer vermitteln. Es sollte in einem hübschen Häuschen im kleinen Städtchen sein. Mama und ich stiegen aus dem Auto und läuteten an der Gartentür zum Häuschen an. Lautes Hundegebell folgte sofort. Mama begannen die Knie zu schlottern. In der Haustür hinter dem nicht allzu hohen Zaun erschien ein junger Mann, an der kurzen Leine hatte er einen heftig bellenden Dalmatiner. „Ein Bluthund“, japste Mama neben mir und erstarrte in panischer Angst zu einer Salzsäule. Ich führte die Kommunikation mit dem jungen Mann. Er wäre der Enkel, sagte er, der Großvater käme in einer Stunde, wir mögen bitte inzwischen warten. In dieser Stunde schauten wir zum Götakanal, wo gar nichts (wohl wegen des schlechten Wetters) gar nichts los war, wir suchen Mama davon zu überzeugen, dass der Hund sich sicher nur über den Besuch gefreut hatte. Nein, das ist ein gefährlicher Hund, ein Bluthund, darauf bestand Mama. Und dann sprach Papa ein Machtwort: „Aus, wir gehen ins Hotel, egal, was es kostet. Ende der Debatte.“
Das Kurhotel Söderköpings Brunn hatte auch wirklich zwei sehr schöne Zimmer für uns, hier wartete auch kein Bluthund und der Tag war gerettet.